Validation
Um die Situation eines Demenzkranken zu verstehen, stellen sie sich bitte folgende Situation vor:
Man setzt sie mutterseelenallein in einer chinesischen Kleinstadt aus, wo sie weder die Sprache kennen noch irgend etwas lesen können. Überall stoßen sie auf völlig unverständliche Gebräuche. Das Schlimmste ist: Ständig treffen sie Menschen, die auf sie einreden, dabei so tun, als ob Sie alle schon lange kennen würden. Von ihnen erwarten, dass sie über sämtliche Dinge Bescheide wissen.
Im Alltag sieht es für diese Personengruppe so aus:
• Sie können ihre Erlebnisse nicht mehr mit Freunden und Bekannten teilen
• Ständig haben Sie Schwierigkeiten sich zu entscheiden
• Können nicht mehr planvoll vorgehen
• Wissen nicht wo sie sind und die Menschen um sie herum sind ihnen fremd
• Sie verstehen die anderen nicht
• Sie können sich auch nicht verständlich machen
• Sie spüren, dass man über Sie spricht – wissen aber nicht was
• Sie haben Ihre Gefühle nicht unter Kontrolle
• Ihre Sinneswahrnehmungen verkümmern: Sehen- Riechen- Schmecken- Hören
Und sie haben vieles verloren :
• Ihre Selbstbestimmung, Selbständigkeit, Identität
• Ihre Aufgaben
• Vertraute Menschen
• Ihr Erinnerungsvermögen
• Sie wissen bei fortgeschrittener Krankheit nicht mehr wie viele Kinder sie habe, Namen sind ihnen entfallen.
• Ob sie überhaupt verheiratet waren
• Was ihr Beruf war
• Womöglich ihr Zuhause
Gedächtnisverlust, Denkstörungen und Desorientierung bewirken immer wieder Gefühle der Angst und Bedrohung. Aggressionen entstehen durch Stresssituationen, Lärm und Aufregung. Das ist am Ende eines langen Lebens eine schwere Bürde.
Gehen wir zurück zum Beginn des Lebens!
Eine bedeutende Grundlage der Validation bildet die Theorie der Entwicklungsstadien des bekannten Psychologen Erik H. Erikson. Er geht davon aus, dass in unterschiedlichen Lebensabschnitten jeweils eine bestimmte Lebensaufgabe bewältigt werden müsse. Er definiert acht Stadien vom Säuglingsalter bis ins Alter.
1.Stufe, Säuglingsalter: Urvertrauen vs. Misstrauen
2.Stufe, Kleinkindalter: Autonomie/Wille vs. Scham und Zweifel
3.Stufe, Kindergartenalter: Initiative/Ziel vs. Schuldgefühle
4. Stufe, Grundschulzeit: Werksinn/Kompetenz vs. Minderwertigkeitsgefühle
5. Stufe, Adoleszenz: Identität/Treue vs. Zweifel an der Identität
6. Stufe, Junges Erwachsenenalter: Intimität/Liebe vs. Isolierung
7.Stufe, Mittlere Lebensjahre: Generativität/Fürsorge vs. Stagnation
8. Stufe, das hohe Erwachsenenalter: Integrität/Weisheit vs. Verzweiflung und Ekel
Naomi Feil baut auf diesen Erkenntnissen nach Erikson auf.
Jede Aufgabe in den einzelnen Lebensstufen hat für unsere Entwicklung und Persönlichkeitsbildung eine gewichtige Rolle. Ist etwas nicht erledigt worden, so wird es in einer anderen Lebensphase wieder auftauchen. Bleibt es unbearbeitet, wird es zu einem „Stein“.
Im Alter besteht unsere Aufgabe darin das Leben zu resümieren. Zeit zurückzuschauen, wie war mein Leben. Was war gut, wer war ich in diesem Leben. So lassen wir dann unser Leben Revue passieren.
Naomi Feil erzählt: „Ich wäre gerne Schauspielerin geworden. Statt dessen habe ich mein Talent im Unterricht eingesetzt und wurde eine gute Lehrerin. Ich mag mich selbst. Trotz meiner unerfüllten Träume, meiner Verluste, meiner Fehler bin ich glücklich, geboren worden zu sein. Ich respektiere und akzeptiere mich; ich habe Integrität, ich kann Kompromisse eingehen. Ich kann akzeptieren was ich bin, was ich war und was ich nicht war. Das Leben hat einen Sinn. Auch wenn ich im Rollstuhl sitze komme ich mit mir ins Reine.“ Integrität im Alter heißt, seine persönlichen Stärken trotz seiner Schwächen zu erkennen.
Mit Integrität kann ein neuer Lebensstil gewagt werden, wenn alte Lebensmuster ausgedient haben.
Trägt man aber diese Gewissheit nicht in sich. Wiegt nicht tiefe Selbstbejahung das persönlichen „Wenigerwerden“ auf, entsteht Verzweiflung.
Verzweiflung, die nicht beachtet wird, rumort, wird zur Depression. Depression ist eine nach innen gerichtete Wut. Wut, Rebellion, Scham, Schuldgefühle, Liebe, Gefühle die ein ganzes Leben lang unterdrückt wurden, gären mächtig und wollen heraus.
Die ungelösten Aufgaben plagen und verfolgen uns bis ins hohe Alter. Wenn wir die Existenz dieser Gefühle leugnen, wartet diese Aufgabe so lange, bis unsere Kontrolle nachlässt.
Ist der Mensch dann alt, und zeitverwirrt, dann muss er all das festhalten was ihm vertraut ist. Er hat sozusagen nur diesen einen „Schlüssel“ und kann keinen anderen „Raum“ betreten.
Uns kommt die Rolle eines Begleiters zu.
Alte, verborgene Konflikte, seelischer Schmerz kommen auf vielfältige Art zum Ausdruck. Wir sollten diesen Menschen die Möglichkeit bieten das alles ausdrücken zu können.